Das Bild das wir haben
2012 – 2014
2 Textbanner, Digitaldruck auf Leinwand, je 304 x 120 cm
an der Fassade der Anhaltischen Gemäldegalerie Dessau, Schloss Georgium
Die Textbanner entstanden anlässlich der Schließung des Museums wegen anstehender Sanierungen und der Disukussion die Gemäldegalerie aufzulösen und die Sammlung dem Weltkulturerbe Dessau-Wörlitzer-Gartenreich zu übereignen.
Hintergrund für die Wortwahl waren die damals wie heute andauernde Diskussion um den ungeklärten Tod von Oury Jalloh 2005 im Polizeigewahrsam in Dessau und die drohende Schließung der Gemäldegalerie.
... Die ersten Menschen, denen ich nach meiner Ankunft in Dessau vorgestellt wurde, waren die Mutter, der Bruder und ein naher Freund Oury Jallohs.
Vom Bahnsteig bis zur Haupthalle des Bahnhofs, wo ich mich verabredet hatte, wurde ich geleitet von einem Spalier Polizisten in sogenannter Körperschutzausstattung. In Mitten der Haupthalle blieb ich stehen, obwohl eingekesselt von der Polizei, hier war der vereinbarte Treffpunkt. Ich stand, versuchte die Situation zu bestimmen, sagte mir: Samstag, Hooligans, konnte aber Dessau mit Fußball nicht in Verbindung bringen. Ich blieb weiter stehen, überlegte, die Polizei sei im Zweifelsfall zu meinem Schutze da, dachte, kaum jemand hier sehe mehr aus wie einer, den die Polizei im Ernstfall schützen würde.
Jetzt, eine Masse Skandierender, hinter mir, die Treppe aus der Unterführung hoch, die Parole laut, ein dicht gedrängter Pulk junger Menschen, schwarzer Block. Nach ihnen weitere, kleinere Grüppchen, quer durch die Halle nach draussen. Noch Einzelne, ein bedröhnter Punk, er hatte mich im Zug um meine Pfandflasche gebeten. Dann Ruhe.
„Stephan?“ sprach mich eine Frau an. „Ja“, sie hatte sich aus der letzten kleinen Gruppe von Menschen gelöst die da noch standen, abseits, und stellte mir diese Gruppe sogleich vor: dem Bruder, einem nahen Freund, die Mutter verbarg ihr Gesicht in den Händen.
Auf dem Weg zur Gemäldegalerie sagte mir die Frau, dass die Demonstration unter dem Motto „Dessauer Verhältnisse angreifen“ stünde und sie sagte, dass sie nicht wisse, wie man sich als Dessauer, wie sie sich als Wahl-Dessauerin dazu verhalten könne. Und sie sagte, der Rassismus habe mit dem Tod Jallohs erst richtig begonnen. Als hätten die Schwarzen das Unglück über die Stadt gebracht, die Demonstranten und die Presse.
Ich war angereist um mir die Gemäldegalerie anzusehen, mir vor Ort ein Bild zu machen. Drei Stunden später saß ich wieder im Zug, hatte einige Fotos von der Fassade gemacht. Der Waggon bildete einen Saal voller Debattierender, Sitznachbarn zu zweit, zu viert, über den Mittelgang hinweg. Ich saß, dachte nach über den Ort für den ein Text entstehen sollte, über Stadtraum und Öffentlichkeit, ich hörte in die Gespräche hinein in Fragmente von Antifa AGs und wer kocht zu Hause angekommen.
Demonstration 25. Februar 2012: »Dessauer Verhältnisse angreifen«
Oury Jalloh, geboren 1969 in Guinea, verbrannt am 7.1.2005 im Polizeigewahrsam in Dessau unter ungeklärten Verhältnissen.