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Mehr Grenzgänger

1992 -1999
Buchbeitrag
Interventionen mit Gardehäuschen
Herzogenaurach
Berlin
Nizza
Limoges
Münster
Kassel
Madrid
Amiens
Altkirch
Paris
Valencia
Alicante
Fürth
Tønder
Turin
Venedig

Das Projekt begann 1992 mit einer Einladung der Kritiker und Verleger Lindinger & Schmid, Regensburg, einen Beitrag zu dem Buch: „Größenwahn-Kunstprojekte für Europa“ zu leisten.

Ich schlug in diesem Buch vor, auf der Plattform des unvollendeten zweiten Turmes des Straßburger Münsters ein Gardehäuschen, als antiquiertes Sinnbild von Grenze, aufzustellen. Das Gardehäuschen sollte in den „Nationalfarben“ Europas, blau/gelb gestrichen sein. Im Inneren sollte sich eine marmorne Gedenktafel befinden, mit einer Inschrift in den damals offiziellen Landessprachen der EU:

FLERE GRÆNSEGANGERE
MEHR GRENZGÄNGER
MORE CROSSING THE FRONTIERS
ENEMMÄN RAJANYLITTÄJIÄ
ENCORE PLUS DE FRONTALIERS
ΚΟΣΜΟΣ ΣΨΝΟΡΑ
MEER GRENSGANGERS
PIÙ FRONTALIERI
FLERE OVERSKRIDER GRENSELAND
MAIS A PASSAR FRONTEIRAS
MER GRÄNSGÅNGERE
MÁS RELACIONES INTERFRONTERIZAS

In Reaktion auf dieses Buch bat mich 1994 der Landesverband Bayern, von Bündnis 90/Die Grünen, ein Wahlplakat für die anstehende Europawahl zu entwerfen. Statt einer Plakatwerbung schlug ich die Realisierung des im Buch beschriebenen Projekts vor, begleitet von einer Bayern-Tournee des oben beschriebenen Gardehäuschens, das ich nun „Grenzgängerhäuschen“ nannte.
Das Grenzgängerhäuschen wurde zwar gebaut, und auf dem Marktplatz meiner Heimatstadt Herzogenaurach aufgestellt, eine Rundreise fand jedoch nicht statt, da das Vorhaben an der “Grünen” Parteibasis keinen Anklang fand.
1996 vermittelten mich die Herzogenauracher “Grünen” an die beiden Europa-Abgeordneten Wolfgang Kreissl-Dörfler (München, SPD) und Frieder Otto Wolf (Berlin, Bündis ’90, die Grünen), mit deren Hilfe Jack Lang, Frankreichs ehemaligem Kulturminister als Schirmherr gewonnen werden konnte und sich eine tatsächliche Aufstellung auf dem Straßburger Münster anbahnte. Catherine Trautmann, damals Straßburgs Oberbürgermeisterin signalisierte Interesse.
Um meinem Ansinnen Nachdruck zu verleihen, initiierte ich eine EU-weite Tournee, die sich in unterschiedlichen Kontexten bewegte:

Checkpoint Charlie, Berlin; Aufstellung neben dem damals noch stehenden Wachturm der ehemaligen Grenzanlagen. Einweihungsrede von Frieder Otto Wolf (MdEP).
Galerie LA STATION, Nizza; „10 jours d’art contemporain“, Talk mit Ben Vautier;
„Colloque des Communes“, Hôtel de la Région du Limousin, Limoges; Treffen der EU-Kommunen, Rede vor den Kommunalpolitikern im Parlament des Limousin;
„Festival de Teatro en la Calle de Alcorcón“, Madrid; (Straßentheaterfestival organisiert vom Künstlerkollektiv El Perro)
„AGORA“, Maison de la Culture, Performance mit Künstlerkollegen aus Amiens;
„Les Centres de Marge“, CRAC Alsace, Altkirch; („Die Zentren der Peripherie“, Ausstellung öffentl. Raum)
crédac d’Ivry, Paris (Ausstellung öffentl. Raum);
Estació del Nord, Valencia (Ausstellung im Bahnhof, kuratiert von José Luis Perrez Pont);
Estació del Ferrocarril, Alicante (Ausstellung im Bahnhof, kuratiert von José Luis Perrez Pont);
„Ökumenischer Kirchentag“ Fürth, Messe mit Dekan Dr. Ludwig Markert;
„Når det fremmede foruroliger”, Sønderjylands Kunstmuseum, Tønder, Dänemark; („Der Stachel des Fremden“, Historikertagung, kuratiert von Thorsten Sadowsky)
„Zebra Crossing“, Unione Culturale Franco Antonicelli, Turin; (Das Erbe der Situationisten, Ausstellung kuratiert von á titulo)
á titulo im Spazio Oreste, 48. Biennale, Venedig

Bei der Tournee bewarb ich meine Idee eines Denkmals für ein offenes Europa in der Stadt des Europaparlaments mit dem Straßburger Münster als Träger und Sockel.

Auf Grund verschiedener politischer Ereignisse in Frankreich, (insbesondere gewalttätiger Ausschreitungen migrantischstämmiger Menschen in Straßburg, anstehende Bürgermeisterwahlen in der Stadt und Parlamentswahlen in Frankreich) gab es seitens der Politik ab 1998 kein Interesse mehr an der Aufstellung des Grenzgängerhäuschens auf dem Münster.
(Da in Frankreich die Kirchen dem Staat gehören, kann eine Aufstellung nur mit Genehmigung der Stadtverwaltung erfolgen.)

Auch das bayerische Kultusministerium entschloss sich kurzfristig zur Rücknahme in Aussicht gestellter Projektgelder, vermutlich wegen der Co-Finazierung des Projekts durch Bündnis 90 / die Grünen.
Wegen der hohen logistischen Kosten verschuldet, brach ich Ende 1998 das Projekt ab.
1999 wurde das Grenzgängerhäuschen ein letztes Mal auf der Biennale in Venedig, im Spazio Oreste gezeigt. “Oreste” war eine Plattform italienischer Künstler, die Harald Szeemann, Kurator jener Biennale in den italienischen Pavillon geladen hatte.
Publikationen:
„Größenwahn – Kunstprojekte für Europa“, Lindinger & Schmid, Regensburg, 1993 (ISBN 3-929970-03-1)
„Zebra Crossing“, Film und Katalog produziert von à titolo, Turin 1998
„Public Art, European Experiences and Projects“, (englisch und italienisch) von Alessandra Pioselli, S. 201ff, in „Oreste alla Biennale“, hrg. Giancarlo Norese, Edizioni Charta, Milano, 2000 ( ISBN 88-8158-279-1)
„Arte e pubblicità“, von Elio Grazioli, S.217ff, Edizioni Bruno Mondadori, Milano, 2001 (ISBN 88-424-9706-1)