Do ut des*


Professionalität bedeutet heute wirtschaftlich zu handeln. Für das System Kunst (ähnlich wie für die Systeme Recht, Politik, Wissenschaft) ist es jedoch überlebenswichtig, die eigene Bewertung von der wirtschaftlichen Bewertung getrennt zu halten. Die Eigenständigkeit der Kunst muss in jedem Fall unter Beweis gestellt werden, und dazu gehört Abgrenzung gegenüber der Käuflichkeit, schreibt Michael Hutter. Kunst gehört zu den Gütern, die anderen als denen, die sie produzieren und erwerben, nützen. Nutzniesser sind die Betrachter, sie müssen nicht gleichzeitig Besitzer des Kunstwerks sein. Selbst Reproduktionen ermöglichen Kunstgenuss, Wissensakkumulation und Erkenntnis. Kunst ist ähnlich wie die Wissenschaft, eine bedingungslose Vorinvestitionen. Jeder kann profitieren, der befähigt ist, aus dem Wahrgenommenen, kulturelles, soziales oder wirtschaftliches Kapital zu ziehen. Rudolf Steiner versteht in seiner sozialen Dreigliederung die kulturelle Produktion und damit das künstlerische Schaffen, als eine Ökonomie des Schenkens, im Gegensatz zu Arbeitnehmern, die ihre Arbeitskraft verleihen und Unternehmern, die ihre Produktion, z.B. gegen Geld tauschen.

In Ostasien gibt es den Brauch, sich keine bleibenden Werte zu schenken. Nur vergängliche Geschenke erhalten die Freundschaft, heisst es. Darum schenkt man Blumen oder Süssigkeiten und legt dabei viel Wert auf eine aufwendige Verpackung, denn sie ist der vergänglichste Teil des Geschenkes. Nur für einen Augenblick nimmt der Beschenkte die liebevolle Verpackung wahr um sie sogleich zu zerstören, denn das Geschenk ist der Inhalt.
Die bleibenden Geschenke weiss dieser Brauch, könnten eines Tages als Messlatte zwischen den Freunden stehen, als Massstab für die Freundschaft und nun Revanche fordern, falls das Ergebnis nicht ausgeglichen ist. Denn am Ende vieler Freundschaften wird abgerechnet, obwohl die Freunde bereits am Anfang wussten, dass sich Freundschaft nicht kaufen lässt, ebensowenig wie die nun geforderte Gerechtigkeit. Polinesier werfen ihre Geschenke vor dem Beschenkten in den Staub, um die Wertlosigkeit ihre Geschenke zu demonstrieren. Bei diesem Brauch wird deutlich, wie das Geschenk zur Kriegserklärung wird, denn der Beschenkte muss das Geschenk annehmen, das wie ein Fehdehandschuh hingeworfen wurde und er muss es erwidern.

In seinem Buch "die Gabe" beschreibt Marcel Mauss wie sich die Indianer der Nordamerikanischen Westküste beim Potlatsch vollkommen verausgaben. Im rituellen Schenken müssen sich die Adeligen eines Stammes, die Häuptlinge, ganze Stämme an Grosszügigkeit überbieten. Denn gerade im Grossmut zeigt sich Autorität, gewalttätig und brutal ist nur, wer sich nicht anders zu helfen weiss. Georges Bataille sieht im Potlatsch eine Gesellschaftsform die ihre Überschüsse sinnvoll verbraucht, denn das obligatorische Revanchieren führt schliesslich zur Abgabe von Macht und damit zu einer Rotation der Hierarchien. Der Klügere gibt solange nach, bis er der Dümmere ist, sagt die Verballhornung einer deutschen Redewendung.

Eines Tages muss das mühsam Akkumulierte sowieso verschenkt werden, denn wer nicht freiwillig gibt, wird post hum von seinen Erben beraubt. Es wird deutlich, wer freiwillig gibt, kann wenigstens selbst entscheiden, wem.
Doch auch die Ökonomie des Schenkens will gelernt sein. Nicht jeder Sponsor setzt sich erfolgreich ein Denkmal, nicht jeder Künstler, der sein Leben der Kunst verschreibt, geht in die Analen der Kunstgeschichte ein, nicht jede Nächstenliebe sichert sich einen Platz im Himmelreich. Der Dank der Mitmenschen und Gottes wird ihnen nur dann zuteil, wenn sie ihn in deren Augen verdient haben. Das Kriterium heisst: Selbstloses Handeln - auch wenn man um die Belohnung dieses Handelns weiss. Kalkül mag zwar mit Ökonomie zusammenhängen, doch wer in der Ökonomie des Schenkens kalkuliert, scheitert. Nur wer bedingungslos schenkt, erhält die Geschenke, die er sich wünscht.


*lat. Sprichwort: Gib, damit dir gegeben wird! zurück

Literaturnachweise:

Michael Hutter: "Kann der Staat Kunst fördern" in "Kunstförderung in den Alpenländern", Herausgeber Clemens-August Andreae und Christian Smekal, Tirol 1992

Georges Bataille: "La Part Maudite, 1: La Consummation", Editions de Minuit, Paris 1949, Neuauflage 1967

Rudolf Steiner: "Die Kernpunkte der sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und Zukunft", 1919, letzte Auflage, Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 1976

Marcel Mauss: "Le Don", 1924, letzte Auflage: Editions de Minuit, Paris 1968 "Die Gabe", Suhrkamp, Frankfurt, 2001

Do ut des entstand für den Katalog: "Daily Services", erschienen 2003 bei Vice Versa, Berlin