Kürzlich traf ich bei einer Podiumsdiskussion einen Bekannten, von Beruf Kurator, der gerade nach Berlin gezogen war. Er habe schon eine schöne Altbauwohnung gefunden, nur müssten noch die Rauhfasertapeten abgezogen werden und die Wände eventuell verputzt. Eine Arbeit, die er gar nicht möge, wie er sagte. Da könne ich ihm jemand empfehlen, wirklich gut und sicherlich preisgünstig. "Aber bitte keinen Künstler", meinte er, "die wollen immer gleich ’ne Ausstellung, wenn sie erfahren, was ich von Beruf bin."
Künstler und Kurator scheinen ein Gegensatzpaar zu sein, die miteinander in Interaktion treten müssen, um ihre jeweiligen Zielsetzungen erfüllen zu können.
Keine Kunst ohne Künstler, keine (relevante) Ausstellung ohne Kurator. Befragt man beide Seiten zu den Vorstellungen über den jeweils anderen, erfährt man eine Palette von Ressentiments, die an pubertierende Jugendliche erinnern:
"Kuratoren sind ausschließlich ihren Konzepten verpflichtet und haben einen utilitaristischen Blick auf die Arbeiten der KünstlerInnen. Da es ihnen in der Regel an Formempfinden mangelt, können sie sich kaum in deren Arbeiten einfühlen und sind damit auch keine ernst zunehmenden Diskussionspartner."
"Künstlerinnen und Künstler sind nur in Ausnahmen in der Lage ihre Arbeit einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln, das Kontextualisieren der eigenen Arbeit gelingt selten. Meistens fehlt es ihnen an Distanz, um Gesamtzusammenhänge wahrzunehmen. KünstlerInnen sind persönlich befangen. Wenn man sie nicht tun lässt was sie zu tiefst begehren, verletzt man sie zwangsläufig. Sie neigen zu den unterschiedlichsten Formen von selbstzerstörerischem Perfektionismus. Kompromisse sind ihnen unerträglich...." Die Liste der Vorurteile ließe sich endlos verlängern.
Als erwachsenen KünstlerInnen entspricht es uns nicht auf der Bank zu sitzen und zu warten, bis uns jemand zum Tanzen auffordert.
Wenn wir als KünstlerInnen kuratieren, geht es um die Entfaltung unserer Vorstellungen. Worum sollte es sonst gehen?
Die Frage, ob KünstlerInnen ihr kulturelles, soziales und wirtschaftliches Kapital erhöhen, in dem sie Kuratieren basiert auf dem Verdacht, dass dem so ist. Diese Vermutung wird bereits dadurch bestätigt, dass wir an dieser Stelle als KünstlerkuratorInnen von Kuratoren um ein Statement gebeten werden. Sicherlich lässt sich auch an Hand dieses Handbuchs überprüfen, welche Bedeutung der Meinung nicht kuratierender Künstler in Bezug auf die kuratorische Praxis beigemessen wird.
Wenn KünstlerInnen kuratieren und dies als eine künstlerische Strategie der 90er Jahre bezeichnet wird, dann wurde das Kuratieren (in den 90ern) überschätzt. Denn nur durch die Überschätzung, kann das Kuratieren an sich als Strategie benutzt werden.
Vielleicht wurden Kuratoren erst an der Stelle notwendig, als die Aussage des Werks nicht mehr werkimmanent war, kurz, als man an der Aura zu zweifeln begann. Max Liebermann forderte noch in aller erster Linie einen Stuhl zur Kunstbetrachtung, um die Werke entspannt auf sich wirken lassen zu können. Heute wirken Werke nicht mehr, Kunsterfahrung ist die Vermittlung von Kontext. Auch diese Aussage mag ein Vorurteil sein, dennoch ist der Zweifel am Werk, an der Aura, an der Werkimmanenz, bei KünstlerInnen wie KuratorInnen spürbar.
Der Artikel entstand 2003 in Zusammenarbeit mit Naomi Potter und Susanne Bosch als kuratorisches Team von sox36 für "MIB - Men in Black - Handbuch der kuratorischen Praxis" Tischler und Christoph Tannert (Herausgeber), Revolver - Archiv für aktuelle Kunst, Frankfurt/Main (ISBN 3-936919-03-8) Das Buch wurde jedoch nie veröffentlicht.