Theseus’ Schiff
2007


Visualisierung des Gedankenexperiments “Theseus’ Schiff“ nach Thomas Hobbes
im Stadtraum Berlins
im Rahmen eines Projekts der philosophischen Fakultät der Humboldt Universität zum Jahr der Wissenschaften.

Die Idee:
Die historische Aufnahme eines Gebäudes, oder eines Gebäudeausschnitts wird deckungsgleich auf die bauliche Rekonstruktion desselben projiziert.

Zustandsbeschreibung:
Vom Brandenburger Tor bis zur Museumsinsel, also dort wo sich Berlin historisch repräsentieren will, gibt es viele rekonstruierte Gebäude, so die Torhäuser des Brandenburger Tors, das Hotel Adlon, die Kommandantur, oder teilrekonstruierte, restaurierte Gebäude wie das Kronprinzenpalais, das Zeughauses, die Neuen Wache, die Humboldt Universität, das Neue Museum usw. Konzipiert ist der Wiederaufbau der Schinkelschen Bauakademie oder des Berliner Stadtschlosses. In diesem, wie in den vielen anderen Fällen steht oder stand die originalgetreue Wiederherstellung der repräsentativen Fassade im Vordergrund, nicht jedoch die Rekonstruktion eines historischen Gebäudes. Die Nutzung der heutigen Gebäude ist oft eine andere als diejenige, für die die Fassaden einst konzipiert worden waren.

Das Gedankenexperiment “Theseus’ Schiff“ nach Thomas Hobbes stellt die Frage nach dem Original.
Bezogen auf ein Gebäude könnte die Frage lauten:
Ab welchem Grad der Rekonstruktion ist ein Gebäude nicht mehr das gleiche Gebäude sondern ein anderes?
Bezogen auf einen Menschen könnte die Frage lauten: Ist der Mensch der stirbt, der gleiche der geboren wurde?

Die Versuchsanordnung:
Die Fassade, hat in ihrer annähernden Zweidimensionalität eine Nähe zur Fotografie.
Um „Theseus’ Schiff“ zu visualisieren, soll ein Ab-Bild auf sein Vor-Bild, eine historische Aufnahme auf eine rekonstruierte Fassade projiziert werden.
Wo einst ein Fotoapparat aufgestellt war, wird nun ein Diaprojektor mit gleicher Brennweite, an gleicher Stelle stehen und das Bild "zurück werfen".
Gegenstand und Abbild sind deckungsgleich. Die Projektionsfläche ist der abgebildete Gegenstand.
Die Fragestellung nach Hobbes könnte lauten: „Ist das historische Dia das Original oder die rekonstruierte Fassade?“

Ausführung:
Vorlage sind Grossbilddias aus der Diathek der Humboldt Universität. Zum Teil stammen die Aufnahmen aus dem 19. Jahrhundert.
Besonders geeignet für mein Vorhaben erschien mir die Neue Wache, nicht nur weil ihre Fassade unterschiedliche Phasen der Konstruktion und der Rekonstruktion durchlaufen hat, sondern weil sie in jeder neuen politischen Epoche einer neuen Funktion zugeführt wurde. Der Name Neue Wache blieb jedoch bestehen.


Genehmigungsverfahren:
Trotz der vorliegenden Genehmigungen des Landesamts für Denkmalpflege als Verwalter der Gebäudesubstanz, dem Stadtrat der Bezirksverwaltung stellvertretend für den Staat als Eigner und dem Strassen- und Grünflächenamt als Ordnungshüter und einer Empfehlung der Kunstkommission für die Mitte von Berlin, wurde die Ausführung leider kurzfristig durch den Hausherrn, dem Deutschen Historischen Museums gestoppt. Das DHM betrachtet nur Kranzniederlegungen als adäquat für das Gebäude, so die offizielle Begründung.
Möglicherweise hatte jedoch der Antragsteller der Humboldt Universität bei seiner Anfrage im DHM nicht die richtige Form, bzw. den richtigen Ansprechpartner gewählt.

Buch:
Das Buch „Abstrakt, Exakt, Obskur / Philosophische Gedankenexperimente und Kunst“, Hrsg. Mireille Staschok, Logos Verlag, Berlin (ISBN 978-3-8325-1583-6) begleitete das Projekt. Es enthält zwanzig philosophische Gedankenexperimente und deren Einbettung in die jeweilige philosophische Debatte. Außerdem enthält das Buch Entwürfe, Skizzen und Gedanken von 7 eingeladenen Künstlern zu dem von ihnen ausgewählten Gedankenexperiment.